Strom aus Abwärme: Das Altenholzer Unternehmen Weihe investiert in die Zukunft – trotz Verlusten und Kurzarbeit
ALTENHOLZ. Eine halbe Million Euro für eine neue Halle? Peanuts für große Konzerne – ein Vermögen jedoch für ein Unternehmen mit rund 50 Beschäftigten. Das ist eine Investition, die schon in normalen Zeiten gut überlegt sein will, die in Corona-Zeiten fast schon als monströses Risiko erscheint. Doch manchmal muss man eben sagen: Jetzt erst recht.
Nein, es ist nicht so, dass Axel Weihe nächtelang wach liegt. Auch macht der Unternehmer im Gespräch keinen sonderlich gestressten Eindruck. Und doch sagt er: „Die Nervosität ist riesengroß.“ Noch nie in ihrer vier Jahrzehnte langen Geschichte hat die Weihe GmbH Verluste geschrieben. Was selbst die große Wirtschafts- und Finanzkrise nicht geschafft hat – Corona ist es brutal gelungen, den Schweißfachbetrieb und Ingenieursdienstleister aus Altenholz in die roten Zahlen zu drücken.
Das an sich macht den Chef noch nicht unruhig: „Wir haben Reserven und können das aushalten.“ Sorge bereitet Weihe (59) und seinem Mitgesellschafter Thomas Montag eine nie gekannte Ungewissheit: „Niemand hat auch nur annähernd eine Vorstellung davon, wie es weitergeht.“ Besonders quälend nagt an ihm die Frage: „Was passiert, wenn wir Corona im Unternehmen haben? Wird der Laden dann dichtgemacht?“
Die Pandemie hat das Kerngeschäft von Weihe rasant in den Keller geschickt. Um locker ein Drittel brach der Umsatz ein. Weihe leidet, weil die Kunden leiden. Das sind vor allem Anlagenbauer und die Motorenhersteller dieser Welt, deren Kraftpakete nicht in Autos verbaut werden, sondern auf Schiffen, in Kraftwerken, in Ölförderanlagen oder in Lokomotiven. Weihe entwickelt, baut und liefert alles, was in der Umgebung eines Dieselmotors wichtig ist – vom Schalldämpfer über diverse Rohrleitungen bis zum Aufsteckpartikelfilter.
Mit dem Bau der neuen Halle sichert sich Weihe quasi das Ticket für die Zukunft. Denn der 500-Quadratmeter-Komplex – ausgestattet mit Krankapazitäten bis zu zehn Tonnen – schafft den Platz, den das Unternehmen dringend braucht, um auf seinem neuesten Geschäftsgebiet in großem Maßstab erfolgreich zu sein: dem Bau mobiler KompaktKraftwerke, die überall dort Öko-Strom erzeugen können, wo große Mengen an Abwärme entstehen – von der Chemiefabrik über Kraftwerke bis zum Krematorium. Zur Erzeugung sogenannter Prozesswärme bleiben häufig bis zu 50 Prozent der aufgewendeten Energie ungenutzt und gehen als Abwärme verloren.
Getroffen hatte man sich auf einer Messe: Um die Wärmewende voranzubringen, kooperiert Weihe mit dem jungen Unternehmen Orcan Energy. Die Münchner haben ein Verfahren entwickelt, das wie ein Dampfkraftwerk funktioniert – nur dass zum Antrieb der Turbinen nicht Dampf eingesetzt wird, sondern eine organische Flüssigkeit, die schon bei niedrigen Temperaturen verdampft. In seiner umgekehrten Form ist dieses Prinzip vom Kühlschrank bekannt. Eingebaut wird die Kraftwerkstechnik in 20- oder 40-Fuß-Container, die leer in Altenholz ankommen, und von dort als fertiges Modul an die Kunden ausgeliefert werden. Die Nettoleistung bis zu 200 Kilowatt erlaubt – unter optimalen Bedingungen – die Produktion von 1,7 Millionen Kilowattstunden Strom im Jahr – genug, um fast 500 Haushalte mit Elektrizität zu versorgen.
Mit dieser Abwärmelösung lässt sich Strom nach Angaben von Orcan für rund drei Cent pro Kilowattstunde erzeugen. „Entweder die Kunden nutzen die Energie selbst, oder sie speisen sie ins Netz ein“, sagt Weihe. Mit der neuen Halle hat Weihe den Platz, rund 60 dieser Modular-Kraftwerke zu bauen. Die Nachfrage ist groß: Aktuell sind zwölf Anlagen in Bau, die Auslastung reicht locker bis Ende des Jahres. Und sollte es doch zu eng werden, könnten noch 1500 Quadratmeter Hallenfläche hinzugebaut werden. Trotz Corona, Verlusten und auch Kurzarbeit: „Wir haben den Optimismus nicht verloren.“ Die Investitionsentscheidung kommt offenbar auch in der Belegschaft gut an – selbst wenn an anderer Stelle gespart werden muss. Mark Frank (20) hat seine Ausbildung zum Konstruktionsmechaniker bei Weihe gemacht und ist heute Werkstattsprecher: „Wer nicht mehr investiert, ist schnell weg vom Fenster.“ Leer kommen die Container in Altenholz an, als mobiles Kraftwerk gehen sie an die Kunden: Geschäftsführer Axel Weihe (rechts) und Mitgesellschafter Thomas Montag sehen in der Stromerzeugung aus Abwärme einen Zukunftsmarkt.
Text von ULRICH METSCHIES, erschienen in den Kieler Nachrichten am 31. August 2020, Fotos von ULF DAHL,